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Gestern habe ich auf der facebook-Seite „Mit Pferden sein“ einen Text gelesen, in dem es über Erinnerungen an Schulpferde ging.

Die Zeit allein heilt keine Wunden

Da hat es mich überkommen – plötzlich merkte ich wie mir Tränen über die Wangen kullerten. 35 Jahre später! Weil sofort wieder die Erinnerung an Morning Light, kurz genannt Mogli, da war. Morning Light war ein Schulpferd in der Reitschule, in der ich meine Jugend verbracht habe. Er war ein Schimmel – vielleicht daher meine Liebe zu den Schimmeln? – und knochig und ziemlich hässlich. Und er war unzufrieden. So sehr unzufrieden und unglücklich, dass es wirklich jeder bemerken musst. Die Ohren waren so gut wie immer hinten, er biss beim Satteln und er frass nicht mal seinen Hafer.

Morning Light, so viel wusste ich, war einstmals ein Vielseitigkeitspferd gewesen. So stellte ich ihn mir immer wieder vor, wie er in stolzer Galoppade auf der Geländestrecke ging.

Kein Vergleich zu diesem Pferd, das hier nun im Ständer stand. Ja vor 35 Jahren war Ständerhaltung noch üblich. Mogli stand im 3 Ständer links gleich nach dem Eingang.

Ich ritt ihn so gut wie nie, ich bekam die „besseren“ Pferde. Und es war ja auch gar nicht so, dass ich ihn reiten wollte. Er lief, wie im Stall über ihn gesagt wurde, wie „eine Ameise auf der Flucht“. Ultrakurze Tritte. Im Galopp neigte er dazu, sich zu wehren, wenn jemand zu sehr mit den Beinen klemmte oder ihn mit dem Schenkel antrieb. Dann hob er bei jedem Galoppsprung den Allerwertesten in die Luft, nicht sehr hoch, aber doch. Deshalb gab man den Reitschülern eine kurze Gerte, mit dem sie ihn in den Galopp – ähhh prügelten?

Also kein Vergnügen zum Reiten. Wenn ich das heute mit meinem heutigen Wissen von Anatomie und Bewegung eines Pferdes sehe, dann wird mir schlecht, aber so richtig schlecht. Damals konnte ich die körperliche Qual nicht wirklich erfassen, aber ich fühlte, dass er litt, das schon. Ich habe mir später oft die Frage gestellt, wie viel rascher ich meinen Blick für gesunde Pferdebewegung hätte schulen können, wenn ich nicht hunderte von Stunden diesen Schulpferden zugesehen hätte, die da ihre Runden drehten. Dabei musste ich ja notgedrungen abstumpfen. Sonst wäre es nicht auszuhalten gewesen. Und ich wollte doch bei den Pferden sein.

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Mein heimliches Versprechen

Ich sass oft bei Morning Light vorne im Stand, tat so als würde ich ihn putzen (also etwas „Nützliches“ tun) und fütterte ihm dabei den Hafer, den er in der Futterkrippe nicht anrührte, aus der Hand. So frass er ihn. Handvoll nach Handvoll. Brauchen konnte er es. Bei einer solchen Gelegenheit ist es passiert. Ich, Gymnasiastin ohne Einkommen, hab ihm etwas versprochen: irgendwann irgendwann hol ich Dich da raus. Und dann sollst Du nicht mehr geschunden werden mit Reitstunden.

Und ich meinte das ernst. So ernst wie man ein Versprechen nur meinen kann. Ich würde das tun. Irgendwie würde ich es fertigbringen, mein Papa hatte ein grosses Herz, ich würde ihn überzeugen können, wenn es so weit wäre und Mogli sonst zum Metzger gehen sollte.

Ich war ja so oft in dem Stall, am Sonntag früh schon um 6 Uhr, half – wie auch einige Freundinnen – dem Stallpersonal beim misten, Pferde putzen und Hofplatz fegen. Die Schulpferde, die am Sonntag nichts zu tun hatten, durften wir jeweils in der Halle laufen lassen. Das waren die einzigen Gelegenheiten, wo sie sich frei bewegen konnten. Für mich ein Highlight. In den Sommerferien durften wir sie – wenn wir lange genug bettelten – auch mal auf eine abgefressene Weide lassen, für eine Stunde. Das anschliessende Einfangen war allerdings manchmal ein schwieriges Unterfangen, das wir zu zweit und zu dritt angehen mussten. Aber wir lachten über die Tricks, die die Pferdchen so auf Lager hatten, um die Weidezeit etwas auszudehnen. Wir verstanden ja wohl, dass sie lieber da geblieben wären.

Wie bei Vreneli

Es sickerte bis zu uns Pferdemädels durch, wenn es einem Schulpferd so schlecht ging, dass es bald zum Metzger sollte. Und manchmal fand sich dann eine Lösung. Wie bei Vreneli, dieser frechen kleinen Dunkelfuchsstute, auch ein Anfängerpferd. Sie lief an der Longe wunderbar, aber kaum sollte sie in den Klassenstunden mitlaufen, parkierte sie in der Mitte, sobald es darum ging, zu traben oder gar zu galoppieren. Sie bog einfach ab, stellte sich auf die Mittellinie und da stand sie dann. Nur durch Einsatz der langen Peitsche in der Hand des Reitlehrers war sie dazu zu bewegen, sich wieder zu bewegen. Alles klopfen und rufen und ziehen war wirkungslos. Bei fortgeschrittenen Reitern machte sie das nicht, aber die wollten sie ja nicht reiten. Ausser ich, ich habe sie sehr gerne geritten und mehr als einmal ein erstauntes Lob des Reitlehres bekommen, wie wunderbar dieses Pferdchen laufen könne. Ich mochte damals schon die Charakterpferde.  Eine kleine Dunkelfuchsstute wollte ich dann auch immer als eigenes Pferd haben – und das wurde es ja dann mit Penta auch.

Als Vreneli zum Schlachter sollte, wusste das Stallpersonal davon und alle suchten eifrig nach einer Lösung. Es war ja auch so, dass sie einfach nicht wollte und nicht dass sie nicht mehr hätte laufen können. Ein ehemaliges Lehrmädchen hat sie dann übernommen und wir hörten immerwieder davon, wie gut es ihr ging und was sie wieder angestellt hatte. Und alle freuten sich über diese Lebensfreude der alten Lady.

So würde das dann ablaufen mit Mogli – stellte ich mir vor. Und ich sah ihn schon auf der grossen Gemeinschaftsweide in dem Stall bei uns im Dorf, wo ich auch ein Pferd mitpflegen durfte. So wie auf dem Bild oben, einen dreckigen zufriedenen Schimmel. (Das oben ist unser Orion, ganz kurz nachdem er zu uns kam).

Mogli ist weg

Es kam anders. Eines Tages kam meine Schwester nach Hause von ihrer Reitstunde und sagte zu mir: Mogli ist weg. Und Greenwood auch. Und noch einer.

Für mich brach eine Welt zusammen. Es war so schrecklich – niemand hatte davon gewusst, das Stallpersonal war genauso geschockt wie wir. Der Metzger hatte drei Schulpferde gleichzeitig abgeholt, heimlich und in aller Frühe.

Dass ich dieses mein Versprechen nicht halten konnte, das schmerzt  mich bis heute. Klar, ich weiss nicht, ob Morining Light nicht so starke Schmerzen hatte, dass der Tod gnädiger war für ihn. Aber trotzdem, es ist mehr als das. Ich habe mein Versprechen nicht gehalten. Bitte verzeih mir, mein Lieber. Alles, was ich getan oder nicht getan habe aus Unwissenheit.

Die Reitschulen der Zukunft

Ich kann es nicht mehr ändern, es war so wie es war. Aber wir alle haben gelitten. Die Pferde sowieso und ich auch, weil ich in einer Reitschule war, wo ich wohl spürte, dass vieles nicht so war für die Pferde, wie es hätte sein sollen, damit sie ein schönes Leben führen können.

Bitte liebe Eltern, schaut hin, wo ihr Eure Kinder hinschickt. Fragt nach, auch Eure Kinder. Die haben noch ein sehr feines Gespür dafür.

Meine Eltern wussten nichts von meinen inneren Konflikten, ich habe ihnen nie etwas darüber gesagt. Sie haben mich auch nicht danach gefragt. Aber heute 35 Jahre später hab ich Tränen in den Augen, wenn ich daran denke. Damals gab es kaum Alternativen.

Aber heute gibt es sie – gottseidank. Auch wenn es noch nicht so einfach ist, sie zu finden. Damit es weniger heimliche Versprechen gibt, die nicht gehalten werden können.

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