Ich wollte doch nur ein nettes Freizeitpferd…
oder: Warum wir oft genau das Gegenüber wählen, das uns herausfordert – bei Menschen und Pferden
Sie sitzt mir gegenüber, die Hände um eine Teetasse gelegt, der Blick ein wenig verloren.
„Weißt du“, sagt sie, „ich wollte einfach nur ein nettes Freizeitpferd. Eins, mit dem ich entspannen kann. Spaziergänge, kleine Ausritte, schöne Zeit… Ich hatte keine Ahnung, dass es so kompliziert werden würde.“
Ich nicke.
Weil ich diese Geschichte so gut kenne.
Weil sie – in verschiedenen Worten – so viele Menschen erzählen.
Und ich denke:
Wahrscheinlich ist es kein Zufall.
Wahrscheinlich ist es sogar genau das, was unser Herz von Anfang an wusste, aber unser Kopf nicht hören wollte.
Warum wir uns Partner suchen, die einen ähnlichen Rucksack tragen
Wenn wir auf unsere Partnerwahl blicken – ehrlich und mit etwas Abstand – erkennen viele von uns:
Wir wählen oft Menschen, die uns auf tiefer Ebene vertraut sind. Nicht, weil sie perfekt zu unserem Wunschbild passen. Sondern weil sie etwas verkörpern, das wir tief aus unserer eigenen Geschichte kennen.
Psychologen wie Harville Hendrix sprechen davon, dass wir versuchen, durch unsere Partner alte Verletzungen zu heilen.
Bindungstheorien zeigen, dass frühe Erfahrungen – von Sicherheit oder Unsicherheit – unsere Erwartungen an Beziehungen prägen.
Oft suchen wir unbewusst nicht das, was uns direkt guttut, sondern was uns vertraut ist.
Manchmal bedeutet das: Zwei Menschen begegnen sich mit ähnlichen Wunden, ähnlichen Ängsten, ähnlichen Sehnsüchten.
Nicht immer leicht. Aber voller Möglichkeit.
Und bei Pferden? Ist es da anders?
Viele Menschen träumen von einem Pferd, das einfach Freude macht.
Ein Freund, ein Seelentröster, ein Abenteuerbegleiter.
Und manchmal erfüllt sich dieser Traum auch ganz genau so.
Doch oft spüren Menschen nach einer Weile, dass das Zusammensein mit ihrem Pferd auch Seiten in ihnen berührt, die sie nicht erwartet haben:
Unsicherheiten. Ängste. Alte Verletzungen. Überforderungsgefühle.
Manchmal scheinen Pferd und Mensch in einer unsichtbaren, aber intensiven Resonanz miteinander zu stehen.
Ist das bloß Spiegelung?
Oder mehr?
Ich glaube: Beides.
Denn Pferde bringen – genau wie wir – ihre eigene Geschichte mit.
Ihr eigenes Herz, ihren eigenen Rucksack.
Viele Hauspferde haben frühe Trennungserfahrungen erlebt.
Viele wurden entwurzelt, verkauft, haben soziale Verluste erlitten.
Tiefe Bindungen, wie wir sie bei freilebenden Herden oder in stabilen Mutter-Tochter-Beziehungen beobachten können, sind selten geworden.
Wenn ich in unsere kleine Herde blicke – auf eine Mutterstute und ihre Tochter – dann sehe ich, wie stark, fein und verlässlich Pferdebeziehungen eigentlich sein könnten.
Wie viel Sicherheit, Freundschaft und stille Weisheit in einer gewachsenen Bindung liegt.
Aber viele Pferde hatten diese Chance nicht.
Sie haben schon so viel verlassen werden oder wegziehen müssen erlebt, dass diese Möglichkeit Spuren hinterlassen haben.
Sie halten sich zurück.
Vertrauen nur zögerlich.
Und manchmal reagieren sie genau auf die Wunden in uns, die auch nach Bindung und Sicherheit rufen.
Vom Traum zum vermeintlichen Albtraum – und wieder zurück
Wenn sich Pferd und Mensch begegnen, begegnen sich zwei Welten.
Zwei Herzen, beide oft mit einer Geschichte von Verlust, Sehnsucht und Hoffnung.
Und manchmal heißt das:
Dass der ersehnte Traum vom unkomplizierten Zusammensein sich zunächst schwierig anfühlt.
Dass alte Spannungen hochkommen.
Dass wir uns selbst auf eine Weise spüren, die wir nicht erwartet haben.
Intuitiv entscheiden wir uns für ein Pferd, tragen Wunschbilder von unserer gemeinsamen Zukunft im Herzen – und stehen dann oft etwas ernüchtert da, wenn es anders kommt als gedacht.
Bei mir zum Beispiel: mein Tari.
Er ist mein Herzbube, ohne jeden Zweifel.
Aber er ist auch anstrengend – das muss ich wirklich zugeben.
Da ist so wenig Sicherheit, so viele Trigger, auf die er anspringt.
Und, ganz ehrlich: Er ist weder äußerlich noch innerlich zu dem Pferd herangewachsen, das ich damals vor meinem inneren Auge gesehen hatte, als ich ihm in seinem jämmerlichen Zustand versprochen habe:
„Alles wird gut.“
Ist jetzt alles gut?
Ja, im Grunde schon.
Aber da ist noch viel Luft nach oben.
Nicht, weil ich ihn in ein Schema pressen möchte – sondern weil ich spüre, dass genau in diesem Weg noch so viel zu lernen liegt.
Für uns beide.
Denn:
Ich lerne mit diesem Pferd Dinge über mich und über das Leben, die ich ohne ihn nie erfahren hätte.
Und er, das spüre ich, entfaltet mit mir an seiner Seite Seiten und Stärken, die er auch im Leben in einer Pferdeherde vielleicht nie hätte entwickeln können.
Das ist für mich wertvoller als alles andere.
Und rückblickend denke ich, dass vielleicht genau dieses Verlorensein in der Welt mich in seinen Augen angesprochen hat. Das ich doch auch kenne. Und dass wir schlussendlich so viel mehr gemeinsam tun als an unserer Sicherheit und Pferdeausbildung zu üben.
Herausfinden wo unser Platz ist und wie es sich anfühlt, diesen Platz einzunehmen und das Leben zu geniessen. Mit alledem was schon passiert ist.
Vielleicht spürst du beim Lesen,
dass nicht nur unsere eigenen Geschichten unsere Beziehungen prägen –
sondern auch die Erfahrungen, die unsere Pferde mitbringen.
Wenn du tiefer verstehen möchtest,
wie frühe Trennungen, Stallwechsel oder andere prägende Erlebnisse das Verhalten deines Pferdes beeinflussen können,
dann empfehle ich dir von Herzen unseren Kurs:
„Trauma bei Pferden verstehen – mit Yve Ehler“.
Ein einfühlsamer, praxisnaher Kurs für alle,
die ihren Pferden noch bewusster und mit mehr Verständnis begegnen möchten.
➔ [Hier findest du alle Infos zum Kurs.]
Herzlich
Antoinette
P.S.
Wenn du spürst, dass du auch in deinen eigenen Beziehungen – zu dir selbst, zu deiner Familie, zu deinem Pferd – mehr Frieden und Leichtigkeit suchst,
dann könnte auch der Familienfrieden-Minikurs eine wertvolle Reise für dich sein.
➔ [Mehr dazu findest du hier.]