Was spiegelt mein Pferd wirklich? – Eine Spurensuche

Über Spiegelneuronen, tiefe Verbundenheit und die stille Sprache des Pferdes

„Mein Pferd spiegelt mich.“
Kaum ein Satz wird so oft gesagt – und so selten hinterfragt.

Natürlich liegt etwas Wahres darin: Pferde sind hochsensible Wesen, nehmen feinste Stimmungen wahr, reagieren auf Körpersprache, Schwingung und Energie. Doch genau deshalb lohnt es sich, einmal tiefer hinzuschauen. Was genau spiegelt da eigentlich? Und auf welcher Ebene?

h möchte in diesem Artikel drei unterschiedliche Ebenen beschreiben, auf denen Pferd und Mensch sich begegnen können. Nur eine davon lässt sich im engeren Sinne als „Spiegelung“ bezeichnen. Die anderen öffnen den Blick für eine differenziertere, tiefere Begegnung.

1. Wenn das Nervensystem spiegelt – Reiz, Reaktion und Regulation

Beginnen wir mit der Ebene, auf der sich vieles ganz unmittelbar zeigt: dem Nervensystem.
Pferde – wie auch wir Menschen – verfügen über sogenannte Spiegelneuronen. Diese ermöglichen es, emotionale Zustände bei anderen wahrzunehmen und innerlich mitzufühlen. Es ist ein evolutionär sinnvolles Prinzip: In einer Herde erhöht es das Überleben, wenn alle sensibel auf Spannungen oder Veränderungen reagieren.

In der Praxis bedeutet das: Wenn ich angespannt bin, wird mein Pferd das oft ebenfalls – ohne dass es „weiß“, warum. Wenn ich ruhig und zentriert bin, kann sich mein Pferd mit mir entspannen. Und umgekehrt: Wenn mein Pferd nervös oder hochfahrend ist, merke ich oft, wie auch mein Puls steigt.

Diese Mit-Regulation ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein Vorgang, der tief im Nervensystem verankert ist. Sie passiert automatisch – durch Nähe, Körpersprache, Atmung, Schwingung.

Man könnte sagen: Unsere Nervensysteme „docken“ aneinander an. Das kann stabilisieren – oder auch destabilisieren.

Diese Art von Spiegelung ist kostbar, denn sie hilft uns, wieder in Balance zu kommen. Sie zeigt uns etwas über den Moment – aber nicht zwangsläufig über die Beziehung oder über tiefere Themen.
Es ist eine Regulationshilfe, keine Botschaft des Wesens.

2. Das Herzfeld – die stille Verbindung, die mitschwingt

Zwischen der automatischen Reaktion des Nervensystems und der tieferen Resonanz zwischen zwei Wesen liegt noch ein weiterer, feiner Raum:
das elektromagnetische Feld des Herzens.

Es ist messbar, weitreichend und lebendig. Und für mich trägt es bereits mehr vom Wesen eines Lebewesens in sich als das Nervensystem es je könnte.

Das Herzfeld wirkt nicht über Reize oder Schutzmechanismen –
es wirkt über Zentrierung, über Stimmigkeit, über das, was wir tief in uns tragen.

Wenn wir innerlich klar, friedlich oder offen sind, verändert sich nicht nur unser Atem oder unsere Körpersprache –
sondern auch die Atmosphäre.
Manche Pferde spüren das sofort.
Manche Menschen auch.

Vielleicht ist es dieses Feld, in dem sich zwei Wesen zum ersten Mal wirklich begegnen – jenseits der Reaktion.


3. Resonanz – wenn das Wesen mitschwingt

Neben all dem, was körperlich erklärbar ist, gibt es noch eine weitere Ebene.
Sie lässt sich schwer in Worte fassen, und doch kennen wir sie alle:

Momente, in denen sich zwei Wesen wirklich begegnen.

Hier geht es nicht mehr um Spiegelung im Sinne von Reaktion – sondern um Resonanz.
Ein feines Mitschwingen, das nicht zwangsläufig sichtbar oder erklärbar ist, aber spürbar.
Ein „gemeinsames Sein“.

Ein Zustand, in dem wir nicht etwas voneinander „lernen“ oder interpretieren müssen, sondern einfach da sind.
Präsent. Echt. Offen.

Diese Resonanz kann sich in der Ruhe zeigen – etwa wenn zwei Wesen nebeneinander atmen –
aber genauso in der Bewegung, im Spiel, in der Arbeit.
Sie ist nicht an Harmonie oder Stille gebunden, sondern an Echtheit.

Ich glaube, dass genau diese Resonanz-Ebene oft entscheidend ist bei der Frage, ob wir uns für ein bestimmtes Pferd entscheiden. Etwas in uns sagt plötzlich Ja – ohne dass wir es sofort begründen könnten. Vielleicht ist es eine ähnliche Persönlichkeit. Vielleicht berühren uns gemeinsame Themen. Vielleicht geht einfach etwas in Resonanz, das wir erst später begreifen.

Und manchmal lohnt es sich, sich daran zu erinnern:
Was für ein Gefühl hat dich damals bewegt, genau dieses Pferd zu wählen?

Hier liegt für mich die wahre Tiefe einer Pferd-Mensch-Beziehung.
Hier entsteht keine Projektion, keine Deutung – sondern Beziehung.


4. Warum diese Unterscheidung wichtig ist

Wenn wir jedes Verhalten unseres Pferdes als „Spiegel unserer selbst“ deuten, laufen wir Gefahr, uns zu verirren.
Dann wird das Pferd zur Projektionsfläche, und wir übersehen vielleicht, was es wirklich braucht – oder was in ihm vorgeht.

Ein Pferd, das sich stark anpasst, wirkt vielleicht „lieb“ oder „harmonisch“, spiegelt aber in Wahrheit einen Zustand von Überlebensstrategie.
Ein anderes zeigt sehr deutlich, wenn etwas in der Umgebung oder in der Beziehung nicht stimmig ist – das kann wertvoll sein, bedeutet aber nicht automatisch, dass wir „schuld“ sind oder gar dass die Beziehung schlecht ist.

Deshalb lade ich dich ein, genauer hinzuschauen:

  • Was passiert gerade in meinem Nervensystem? Und in dem des Pferdes?
  • Kann ich mir durch bewusstes regulieren meines Nervensystems gerade helfen?
  • Kann ich meinem Pferd durch bewusstes regulieren meines Nervensystems gerade helfen?
  • In welchem Zustand ist mein Pferd – körperlich, emotional, energetisch?
  • Kann ich mich auf einer tieferen Ebene – Herzfeld oder Resonanz – gerade auch verbinden? Wenn das gelingt, führt das meistens zu Freude und einer gewissen Leichtigkeit.
  • Und: Gibt es da vielleicht eine tiefere Resonanz – jenseits von Verhalten und Spiegelung?

5. Fazit: Zwischen Spiegel und Begegnung

Pferde spiegeln uns – ja.
Ihr feines Nervensystem, ihre Wahrnehmung, ihr Herzfeld reagieren oft präziser auf uns als wir selbst.

Aber: Sie sind kein Spiegelbild. Und schon gar nicht unser Diagnosetool.

Sie zeigen, was ist – manchmal durch Reaktion, manchmal durch Resonanz.
Doch nicht alles, was sie tun, sagt etwas über uns aus.

Manches, was wir als Spiegel deuten, ist schlicht Regulation.
Manches ist Anpassung.
Und manches ist Begegnung.

Es lohnt sich, hinzuspüren, auf welcher Ebene wir uns gerade bewegen.
Denn nur dann können wir unterscheiden:
Reagiert mein Pferd – oder begegnet es mir?

„Pferde halten uns keinen Spiegel vor.
Sie laden uns ein, hinzusehen – in uns und in sie.“

— Antoinette Hitzinger

Über die Autorin
Zu diesem Text wurde ich inspiriert durch einen Live-Abend in der Online-Akademie von Herzenssache Pferd, bei dem Antoinette Hitzinger mit Teilnehmer:innen über Spiegelung, Resonanz und echte Verbindung sprach.

In der Akademie findest du vertieftes Wissen, Inspiration und vielfältige Impulse für ein feines, gesundes und echtes Miteinander mit deinem Pferd.

Mehr dazu unter: Mehr zur Online-Akademie

Fähigkeiten

Gepostet am

30. März 2025