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Wieviel Mensch braucht ein Pferd?

In diesem Artikel gebe ich – wie immer – meine ganz subjektive Ansicht und meine Gedanken wieder, die mir bei der Betreuung der über 30 völlig unterschiedlichen Pferde auf unserer Weide durch den Kopf gehen. Ich bin mir bewusst, dass die Ansichten zu diesem Punkt weit auseinandergehen. Viele denken, dass Pferde unter sich am glücklichsten sind und Menschen gar nicht brauchen.

Mit „brauchen“ meine ich hier nicht das zur Verfügung stellen der Lebensgrundlagen wie Futter, Wasser, Artgenossen, Bewegung, Luft, Licht. Sondern ich meine damit die Interaktion mit dem Menschen.

Was wollen Pferde?

Bei Hunden hat man ja festgestellt, dass Welpen in einem gewissen Alter den Kontakt zum Menschen dem Kontakt zu ihren Geschwistern vorziehen. Soweit gehen Pferde meiner Erfahrung nach selten, aber sowohl als auch, das hätten sie gerne.

Ich erlebe auf unserer Weide auch die „Bring mir Futter und lass mich im übrigen in Ruh“-Typen. Allerdings sind das durchs Band ältere Pferde, die lange „im Dienst“ der Menschen standen. Zwei davon Ponies.

Sie sind Alterspensionäre und wir wollen nichts von Ihnen, ausser dass es ihnen gut geht – sie stehen bei uns auf grossen Weiden mit Unterständen und mampfen und leben einfach in der Herde. Und wisst ihr was dann passiert? Wenn sie das irgendwann merken, dass wir nichts von ihnen wollen und sie auf Distanz gehen können wann immer sie wollen?

Sogar die grössten Sturköpfe möchten Aufmerksamkeit

Dann fangen sie irgendwann an, die menschliche Nähe doch wieder zu suchen. Kommen kurz vorbei, holen sich ihre kleinen Streicheleinheiten und ihren Zuspruch und verkrümeln sich wieder. Oder laufen uns eine Weile nach. Oder geniessen plötzlich, geputzt zu werden auch wenn sie es vorher nur erduldet haben. Ein Stück Misstrauen bleibt, so ist es nicht, dass das ganz verschwindet, jedenfalls nicht so rasch – ich rede hier von Jahren. Aber es gab bisher noch kein einziges Pferd, dass nicht sein anfänglich distanziertes Verhalten von selbst abgelegt hat.

Ich schliesse daraus, dass auch unsere Haus-Pferde auf Menschen bezogen sind, nicht so sehr wie Hunde, aber doch deutlich mehr als zum Beispiel die Lamas, die sich auf den Nachbarsweiden tummeln.

Woran könnte das liegen?

Obwohl die Domestikation der Haus-Pferde nach Annahme der Archäologen erst vor 5500 Jahren begonnen hat, also Jahrtausende nach dem Schaf, der Ziege und dem Rind, ist in dieser Zeit viel Veränderung passiert.

Übrigens haben die genetischen Forschungen ergeben, dass unsere Pferde nicht vom einzigen heute noch existierenden Wildpferd, dem Przewalskipferd (Equus ferus przewalskii) abstammen, sondern von Wildpferdeformen, die alle bereits ausgestorben sind. Wen’s interessiert: Wildpferde

Dazu ein Abschnitt aus einem Artikel in „Bild der Wissenschaft“:

„Genetische Veränderungen machten zahm

Den weiteren Analysen zufolge spiegelt sich die Zuchtauswahl durch den Menschen in interessanten genetischen Veränderungen wieder. Es handelt sich dabei um Gene, die eine Rolle bei der Motorik und Leistung der Tiere spielen. Dadurch wird deutlich, wie der Mensch die körperlichen Eigenschaften der Pferde für seine Zwecke optimierte. Darüber hinaus wird der Zähmungsprozess offenbar an Genveränderungen deutlich, die Erbanlagen betrafen, die mit dem Verhalten zu tun haben: Lernfähigkeit, Angstreaktionen und Sozialverhalten. Sie machten die eigentlich scheuen Wesen für den Menschen besser zugänglich, sagen die Forscher.“

Zugänglich heisst was?

Pferde lassen sich nicht nur berühren und reiten, fahren und so weiter. Ich bin überzeugt davon, dass viele Pferde eine sehr enge Verbindung zu „ihrem Menschen“ eingehen. Oft bemerken wir das nicht so, weil sie es nicht so auffällig kundtun wie zum Beispiel Hunde, die ihre Leute freudig begrüssen. Manchmal fragen mich Pferdebesitzer, die ihr Pferd auf der Altersweide nicht so häufig besuchen: Denkst Du, er/sie kennt mich noch? ja loooogisch tut er/sie das.

Aber ein Pferd ist ein Pferd – es kommuniziert mit uns ähnlich wie mit seinen Artgenossen – pferdisch; plus das, was es gelernt hat. Pferdisch ist bis auf wenige Ausnahmen eine sehr leise und eher unauffällige Sprache.

Und auch eine Sprache, die in den wenigsten Reitställen unterrichtet wird. Da geht es schliesslich wie der Name schon sagt, in erster Linie ums Reiten und nicht um die Pferde. Sonst hiessen sie wahrscheinlich Pferdeställe. Aber dies nur als Wortspielerei am Rande.

Meine kühne These

Ich denke und fühle es so, dass Pferde gerne mit Menschen zu tun haben – solange es ihnen nicht verleidet wird. Es scheint ihnen irgendetwas zu bringen – ich rede jetzt nicht vom Leckerli in der Tasche – weil das Verhalten von Lebewesen immer darauf ausgelegt ist, dass es dem Lebewesen einen Vorteil verschafft.

Meine kühne These dazu ist, dass die nähere Begegnung mit Menschen dem Pferd Erfahrungen ermöglicht und damit Entwicklungen, die in reiner Pferdegesellschaft nicht möglich sind. Pferde mögen es, von Menschen mit freundlichen Gedanken, Worten und Gesten bedacht zu werden. Es ist ihnen wichtig. Eigentlich erstaunlich.

So komme ich zum Schluss, Pferde brauchen den Menschen nicht als Gesellschaft – da gehören Artgenossen her, aber als Sahne auf der Torte für ein interessantes Leben und ihre geistige Entwicklung sind sie sehr willkommen.

Solange die Sahne nicht ranzig wird.

Was meint ihr zu dem Thema? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare.

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Gepostet am

7. Februar 2016

6 Kommentare

  1. Bettina Schürer

    “ – weil das Verhalten von Lebewesen immer darauf ausgelegt ist, dass es dem Lebewesen einen Vorteil verschafft“. Dieser These widerspreche ich, es ist mir bewusst, dass Zoologen diesen postulieren auch bzgl. der Evolution. Aber andere Verhaltensforscher haben ausreichend Beobachtungen gemacht, in denen es sich herausstellte, gerade auch bei Vögeln, dass es viele Verbindungen von Starken Tieren mit körperlich Geschwächten Tieren gibt, auch zur Anpaarung! So verstehe ich auch unsere Pferde. Sie suchen gerne Kontakt/Verbindung zu Menschen welche psychische und /oder körperliche Schwächen haben.- Sie sind durchaus bereit sich als Heiler/ Helfer von Menschen zur verfügung zu stellen, freiwillig!-
    Mit dem Abschnitt der besagt, dass Pferde in ihrer Entwicklung durch den Menschen gefördert werden können und dieses auch suchen würde ich uneingeschränkt unterschreiben. darin liegt für mich auch die Berechtigung Pferde in ihrer Beweglichkeit zu fördern und sie zu reiten! Schöner Artikel.-

    • Antoinette

      Liebe Bettina, danke! Ich schliesse das Helfen und Heilen ein in die These des Vorteils?. Es geht immer auch um Verbindungen, die ja nicht einseitig „Heilung“ bringen. Wenn ich mich im Tierschutz engagiere, dann hab ich vordergründig wenig davon. Ausser ein etwas besseres Gefühl. In meiner Wahrnehmung heilt bei mir genausoviel wie bei den geschundenen Lipizzanern. Lebewesen sind auf Kooperation ausgerichtet, sogar Bakterien. Dort hat man sehen können dass Bakterien, die mit ihrer Umgebung in der Kolonie kommunizieren -über Botenstoffe -und zum Beispiel bei Gefahr warnen, eine höhere Überlebenschance haben weil die Kolonie Nährstoffe dorthin schickt. Genauso bei den Körperzellen. Schwer zu erfassen aber vielleicht am einfachsten zu verstehen mit dem Bild, dass ein Lebewesen am besten positiv wirken kann wenn es ihm möglichst gut geht. Das ganze Leben auf der Erde ist ein Netzwerk und ein Geben und Nehmen. Jetzt wirds philosphisch?

  2. alexandra ulrich

    hallo!
    ich betreue insgesamt knapp 50 pferde und ponys, eigene von unserer reitschule und pensionspferde. wir betreiben einen hof mit fohlenaufzucht und altersweide plus eben die reitschule. da ich viele langjährige schüler habe die „ihre“ pferde auch noch betreuen wenn sie nicht mehr geritten werden sehe ich sehr viele tolle beziehungen. die qualität äussert sich nicht in der anzahl leckerlis, sondern darin zu spüren was mag mein pferd, wo liebt es geputzt oder gekrault zu werden und eben auch wo nicht. da meine pferde sehr intensiv kontakt zum menschen haben und oft als sozialfälle bei uns ankommen ist der übergang auf die altersweide nicht immer einfach. klar wird das freie leben und entscheiden können wo ich mich aufhalten will genossen. aber ich erlebe auch dass die gezielte aufmerksamkeit einigen pferden fehlt. die begleiten einem dann beim misten, oder geben zu verstehen dass etwas mehr zuwendung gewünscht ist.

    • Antoinette

      Danke Alexandra, ja so seh ich das auch mit der Altersweide. Ich würde für meine eigenen Pferde eine Umplatzierung auf eine Altersweide, wo ich sie nicht mehr oft sehen würde, nur im äussersten Notfall ins Auge fassen.
      Als Jugendliche – also schon ewig her – hab ich erlebt wie ein Spitzenspringpferd, Harley von Walther Gabathuler, nach seiner Pensionierung regelrecht depressiv wurde.
      Bei uns leben ja Pferde jeden Alters in einer gemischten Gruppe – wir haben auch einige Alterspensionäre, aber nicht vorwiegend.

  3. Franz

    Liebe Antoinette,
    ich kann deine Meinung zur Gänze teilen, würde sogar noch weiter gehen.
    Wir hatten eine Traberstute, die 14 Jahre alt war als wir sie bekamen. Sie war auf der Rennbahn und dann 9 Jahre als Zuchtstute frank und frei auf der Weide.
    Als wir sie bekamen war sie schüchtern, nervös und in der Herde so ziemlich die Letzte in der Rangordnung (Paddockhaltung mit ganztägigem Koppelgang, Herde mit 10 Pferden).
    Ich habe sie ein Jahr lang intensiv ausgebildet (Fitness, Bodenarbeit, Reitbarkeit, Galopp beigebracht usw.) und je mehr sie konnte, desto selbstbewusster wurde sie. Ich konnte beobachten wie sie immer weiter in der Rangordnung aufstieg und beim Ausreiten konnte sie nichts erschüttern.
    Dies dient für mich als Beweis, dass der Mensch sehr wohl großen Einfluss auf das Pferd hat und sich eine gute, verständnisvolle Arbeit mit dem Pferd auf dessen Wohlbefinden und Selbstbewusstsein stark auswirkt.
    Weiters entsteht eine sehr starke Bindung wenn man 4 bis 6 mal die Woche beim Pferd ist. Wir waren einmal zwei Wochen in Urlaub. Als wir zurück kamen würdigte unser Pferd uns keines Blickes und war wirklich rund eine Woche schwer beleidigt, weil wir uns so lange nicht blicken ließen. So viel noch zum Thema „Wieviel Mensch braucht ein Pferd“ 🙂

  4. Samaya Sandmeier

    Spannendes Thema…
    Ich habe 3 Pferde, die jeder andere Vorstellungen davon hat, was der Mensch mit ihm soll oder was sie vom Menschen wollen.
    2 (die Stuten) davon waren mal zusammen auf der Alp, während sich die damals 11jährige Araberin nach einigen Wochen in die Herde integrierte und „mir den Vogel zeigte“, als ich mir ihre Hufe anschauen wollte, wars bei der damals 18jährigen Polostute (ex Turnierpferd) so, dass ich sie jeweils abseits der Herde antraf und sie es liebte wenn ich ihr die Hufe machen kam und ich sie durchmassierte (ich denke wenn sie bei mir ins Auto gepasst hätte, wäre sie glatt eingestiegen und mit mir mitgefahren;)). Ich denke sie ist durch ihr eher introvertiertes Naturell und ihre Sportkarriere weg vom „natürlichen“ gekommen, wenn ich sie einfach auf eine Altersweide stellen würde wäre das sehr schwierig für sie.
    Mittlerweile wohnt noch ein Ponywallach bei uns und bei ihm kann sie sich ziemlich gut öffnen, was aber auch seine Zeit gebraucht hat.

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