fbpx

Wie  ich im November 2014 auf die „Schlachthaus der Lipizzaner“-Seite in Facebook aufmerksam wurde, weiss ich gar nicht mehr.  Jedenfalls wurde ich.

Es sollte der Beginn von wunderbaren Freundschaften werden

Am Anfang war ich nur schockiert. Ich gehöre nicht zu den Leuten, denen ein Lipizzaner grundsätzlich mehr wert ist als ein Freiberger. Ich habs nicht so mit den Rassen, auch bei den Hunden nicht. Ich sehe mehr die Individuen als die Rassen.

Aber zwei Jahre zuvor hatten wir einen heruntergekommenen Lipizzaner bei uns aufgenommen. Ich hatte ihm zu tief in die Augen geschaut, schon bei unserer allerersten Begegnung, als ich mit ihm aushilfsweise Kinderreitstunden gegeben hatte. Mit ihm und mit zwei schönen spanischen Pferden. Optisch fiel er damals im Vergleich ziemlich ab, aber ich fühlte mich mit ihm vom ersten Augenblick an verbunden.

Als dann im Herbst klar wurde, dass er einen neuen Platz suchte – völlig unmotiviert und genaugenommen auch lahm – versuchte ich, ihn an nette Menschen zu vermitteln. Aber nach einem Proberitt lehnten diese dankend ab, der fühle sich an wie 37 nicht wie 17. Tja, schwierig.

Wo findet sich ein förderlicher Platz für ein lahmendes, unmotiviertes, älteres Pferd? Ich machte mir grosse Sorgen um ihn. Mein Mann war gegen ein weiteres eigenes Pferd, obwohl er Lipizzaner sehr liebt.

Ich plante damals erst meine Selbständigkeit und wusste, dass ich unter anderem Kinderreitstunden würde geben wollen. Orion kannte ich und wusste, dass ich ihn gut lesen konnte und dass er ein sicherer Wert war – allerdings müssten wir die Lahmheit in Griff bekommen.

Wir helfen einander gegenseitig

Irgendwie arbeitete es in meinem Liebsten. Ohne dass ich weiter mit ihm darüber diskutiert hätte, kam er eines Mittags in die Küche und sagte: „Du ich hab mir überlegt – mit dem Lipizzaner. Wenn er Dir wirklich helfen könnte bei Deinen Reitstunden, dann hol ihn.“  Das liess ich mir nicht zweimal sagen. Rasch war der Transporter vorbereitet, er musste noch ein einziges mal dort in den Reitstunden laufen.  Das war die Härte für mich, jetzt wo ich wusste, dass er zu uns kommen würde, konnte ich es kaum mehr ertragen.  Anschliessend habe ich ihn verladen und auf unsere Weide nach Al Nour gebracht. Ein halbes Jahr lang haben wir ihn nur osteopathisch behandelt und nach Anweisung der Therapeutin massiert und gut gefüttert.  Im übrigen hat er sein neues Weideleben entdeckt und die anderen Wallache/Junghengste.

IMG_1712

Er blühte auf, begann mit den anderen Pferden zu spielen und das machte und macht mich unendlich glücklich. Nun suchte er den Kontakt zum Menschen und ich fing an, die besonderen Eigenschaften der Lipizzaner zu spüren. So etwas Würdevolles, irgendwie Königliches, Selbstbewusstes. Auf ihren Menschen sehr Bezogenes.  Und dann die Bewegungen als er schliesslich laufen konnte. Hach!

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA

Mehr als 300 Lipizzaner sollten zum Schlachter

Und nun stand hier, dass in dem insolventen Gestüt in Südfrankreich mehr als 300 solcher Wunderpferde standen, die geschlachtet werden sollten,  wenn sich nicht bis Ende April Käufer für sie finden würden. Das unanständige Wort mit Sch… fand ich sehr angebracht.

So viele?? Ich schaute mir die Bilder an, die nach und nach gepostet wurden, fieberte mit. Mehr konnte ich nicht tun.

Dann sah ich Dolce, dieses Krückelchen – sie war die erste, deren Foto ich meiner achselzuckenden Familie zeigte. Und den wunderschönen Calin mit seinem blauen Auge. Der durfte bestimmt nicht sein Leben auf der Schlachtbank lassen!

Im Februar kam unsere Praktikantin Andrea zu uns – sie war psychisch nicht stabil und die Arbeit mit den Pferden waren ein Versuch, ihr zu mehr Stabilität zu verhelfen. Sie liebte Orion. Und ritt auf ihm als hätte sie ihr Leben lang nichts anders getan. Erstaunlich, ein echtes Naturtalent.

Andrea fragte mich, ob sie denn auch ein Pferd haben könnte, für das sie verantwortlich sein dürfte. Das wäre sicher gut für sie, dachte ich mir, und begann, unsere Pferde durchzudenken. Da war keines das sich dafür geeignet hätte. Entweder waren sie ganz klar mit einem von uns verbunden oder aber zu schwierig für Andrea.

So keimte in mir der Gedanke, dass ein Fohlen aus Südfrankreich für sie ideal wäre. Sie könnte es umsorgen und mit ihm üben und in der Zwischenzeit weiter mit unseren anderen Pferden lernen. So dass sie dann in ein paar Jahren fähig sein würde mit „ihrem“ Pferd einen guten Weg zu gehen – mit Anleitung natürlich.

Ein Brief an Andreas Vater

Ich brachte meine Idee auf Papier und schickte sie an Andreas Vater. Fragte ihn, was er von dem Plan hielte und ob er allenfalls bereit wäre, mit nach Südfrankreich zu fahren. Ich wusste, dass er unter anderem auch als Chauffeur bei einem Limousinenservice arbeitete. Und ich wollte nicht die ganze Strecke selbst fahren.

Zuerst kam länger keine Antwort. War wohl nix, dachte ich schon. Er findet die Idee nicht gut. Dann der Anruf, er wäre so überwältigt gewesen von dem Angebot, dass er es erst gar nicht hätte glauben können und ja, er käme gerne mit.

Dann, nach einem Wochenendaufenthalt zu Hause, kam Andrea wieder in die psychiatrische Klinik, eine weitere Krise. Wie lange sie bleiben müsste war unklar. So wird wohl nichts aus dem Ihr Pferd selbst aussuchen dachte ich. Dann muss ich es halt aussuchen.

Und ich reservierte und zahlte nach Foto die kleine Emeraude. Unerwartet rief Andrea an, sie müsse für eine Woche raus aus der Klinik, damit sie danach in ein Programm einsteigen könne, das speziell für Borderline-Patienten sei. Erst müsse sie aber beweisen, dass sie eine Woche ausserhalb der Klinik klarkomme. Nach Hause könne sie nicht, ob sie diese Woche bei uns verbringen dürfe.

Aha, doch eine Gelegenheit selbst nach Frankreich zu fahren. Ja, sie dürfe kommen und wir würden ihr Pferd kaufen und holen gehen, das dann so lange auf sie warten würde, bis sie das 3 monatige Programm durchlaufen hätte.

Der Tag X

Gesagt, getan. Wir bekamen noch den Autrag, Endora für eine Familie aus der Schweiz mitzutransportieren. Super, dann wäre Emeraude nicht allein für den Transport. Kurzfristig kam noch Michelle dazu, die mitfahren wollte, um sich ihr Pferd auszusuchen.

Es ging los, Michelle, Andrea, Andrea’s Papa und ich mit Zugfahrzeug und Pferdanhänger. Nach 12 Stunden kamen wir müde und zerknautscht an. Ohhh, dieser gedeckte Reitplatz, den hätte ich am liebsten auch gleich mitgenommen. Wir wurden mit einem warmen köstlichen Nachtessen empfangen. Danach ging es sofort zu den Pferden.

Emeraude, Eltanin und Endora waren bereits separiert. Eltanin würde auch für eine Familie mit uns mitfahren. Emeraude war sehr sehr scheu. Die Hufe grauenhaft, hinten links erkannte ich eine Fehlstellung. Hmm. Aber vor allem war sie das Misstrauen in Person.

Andrea setzte sich für 2 Stunden zu den drei Stuten. Endora näherte sich ihr, Emeraude blieb auf Distanz, schaute nicht mal. Wollte einfach gar nichts wissen, von Andrea nicht, aber auch nicht von sonst jemandem. In mir blitzte etwas auf. Emeraude, die Smaragdprinzessin. Mir war es egal, ob ich sie anfassen konnte oder nicht. Wenn ich ein Pferd für die nächsten 30 Jahre aussuche, kommt es auf einige Wochen oder Monate nicht an. Aber ich ahnte bereits, dass Emeraude möglicherweise für Andrea die falsche Wahl gewesen war.

Andrea war schwer enttäuscht – sie konnte zu diesem verhuzelten Emeraude-Pferdchen einfach keinen Draht spüren. Ich hingegen schon.

Wir gingen zu Bett. Morgen wäre ein neuer Tag, da würden wir alles nochmals besprechen und schauen, ob sich doch noch was entwickeln würde zwischen Andrea und Emeraude. Die bange Frage war: Was wenn nicht?

Nach einer unruhigen Nacht ging es am morgen gleich wieder zu den Pferden. Wir hatten nicht so lange Zeit, denn die Fohlen sollten noch entwurmt werden, und dabei sollten wir nicht anwesend sein. Andrea fragte, was das bedeuten würde, wenn sie lieber ein anderes Pferd hätte als Emeraude. Ich griff zum Telefon und rief zuhause an. „Wir haben hier ein Problem.“ sagte ich. „Das hab ich schon fast erwartet.“, meinte mein Liebster. Ich erklärte die Situation und dass ich Mühe hätte, Emeraude hier zu lassen. Begeisterung ist etwas ganz anderes.

„Tu, was Du für richtig hältst.“

Ich hielt es jedenfalls nicht für richtig, die scheue kleine Emeraude mit ihrer Fehlstellung hinten links hier zu lassen. Ich hatte zuviel Angst, dass sie nicht die passenden Menschen findet innerhalb der Frist. Zudem berührte sie mich.

P1090193

Andrea machte sich auf die Suche nach ihrem Pferd.

Fortsetzung folgt!