Happy Birthday liebster Tari – oder vom Mut, fixe Vorstellungen loszulassen

Da stehst du nun und bist schöner als je zuvor. O.k., deine Art der Schönheit ist Geschmacksache, wie wahrscheinlich jede. Jedenfalls entspricht sie nicht dem Trend und ehrlich gesagt auch nicht so wirklich meinem Idealbild von einem Pferd.

Und doch bin immer wieder zutiefst bezaubert von dir und manchmal wie vom Donner gerührt, wenn du so da stehst.

Das mag an deiner Ausstrahlung liegen, an der Liebe oder an unserem gemeinsamen Weg, den ich in jeder Zelle in mir trage. Wir haben gemeinsam auf manche Dorne gebissen und es war niemals sicher, dass wir die Rose erblühen sehen würden.

Mein Leben lehrt mich, dass fixe Vorstellungen mehr Leid verursachen als Zielenergie freisetzen. Immer wieder fällt mir die Geschichte des alten Einsiedlers ein. Ich weiss nicht mehr, wo ich sie gelesen habe und gebe sie deswegen in meinen eigenen Worten wieder.

Die Geschichte vom Einsiedler

Es begab sich, dass ein junges Mädchen ein Kind unter seinem Herzen trug, ohne verheiratet zu sein. Sie fürchtete sich vor der Reaktion ihres strengen Vaters und – um das Kind und sich selbst von seiner Wut zu schützen – sagte sie, es sei das Kind des Einsiedlers auf dem Berg. Dieser Einsiedler war hoch geachtet und wurde oft von den Menschen des Dorfes um Rat gefragt.

Wutentbrannt über die Schande nahm der Vater des Mädchens das Neugeborene, stieg mit ihm auf den Berg und klopfte an die Tür des Einsielders. „Da, nimm deinen Spross und sorge für ihn. Ich will dieses Kind nicht in meinem Haus haben.“ „Wenn dem so ist.“, sprach der erstaunte Einsiedler, nahm das Kind und richtete sein ganzes Leben danach ein. Geeignete Nahrung beschaffen, Windeln wechseln, es herumtragen, zu ihm sprechen und es trösten, wenn das notwendig war.

Das Kind gedieh und die Zeit ging ins Land. Die Mutter des Kindes, unser junges Mädchen, war aber natürlich unglücklich. Der nächste Sommer kam und sie heiratete den Burschen, der in Wirklichkeit der Vater des Kindes war. Irgendwann fasste sie sich ein Herz und gestand ihrem Vater alles.

Wieder stapfte der Großvater des Kindes wutentbrannt los, klopfte beim Einsiedler und sagte: „Es ist gar nicht dein Kind. Gib es wieder her.“

„Wenn dem so ist“, sagte der Einsiedler wieder. Als der Grossvater mit dem Kind den Berg hinab verschwunden war, trocknete er seine Tränen und ging zum Abendgebet in sein Haus.

Wenn dem so ist

„Wenn dem so ist“, bedeutet nicht, nicht zu handeln. Es bedeutet, sich. mit seinem ganzen Mut, seiner Kraft und Liebe dem zu stellen, was ist. Wir ärgern uns oft darüber, dass Dinge nicht sind, wie wir sie gerne hätten – das Pferd, das Kind, die Wohnung, die Politik, die Gesundheit oder die Zahnbürste.

Tari ist soeben 6 Jahre alt geworden. Er ist ein „wenn-dem-so-ist“-Pferd. Die Türen dafür, dass er überhaupt weiterleben und zu mir kommen konnte, gingen in dem Moment auf, in dem ich aufhörte, genau das mit aller Kraft erreichen zu wollen. Während die anderen rascher gesund wurden (ausser dem wunderbaren unvergessenen Expresso) war Taris Zustand über Jahre eher trist und schwach.

„Vielleicht hat er doch zu viele Folgeschäden“, meinte eine liebe Tierärztin dazu. Es war ein Balanceakt zwischen Zeit geben, gut füttern und unterstützenden Ansätzen, die ihm weiterhelfen. Und immer auch meinen Ansprüchen und Vorstellungen. Denn natürlich hatte ich die Vorstellung, dass aus ihm ein gesundes starkes Pferd werden würde.

Heute, 5 Jahre später, sieht es so aus, als ob das durchaus werden würde. Es ging und geht ja aufwärts, aber unendlich langsam. Ich habe gelernt, dass Gras nicht schneller wächst, wenn man an ihm zieht.

Jetzt gehen wir die nächsten Schritte. Und er kann seinen Körper schon fast so gut koordinieren, dass er traben kann, ohne wie ein Schiff bei Seegang hin- und herzuschwanken.

Dabei hat uns beide die Analyse und die Anleitung zum Korrekturtraining durch Claudia Benedela sehr unterstützt und tut das weiterhin. Bei Interesse an dieser Arbeit, im Juni 2020 ist es noch möglich, ich den Blickschulungskurs mit Claudia einzusteigen.

Hier findest du mehr Informationen dazu.

Tari hat mich gelehrt, dass nichts selbstverständlich ist. Am Leben zu sein ist ein Geschenk, zu wachsen ist ein Geschenk, fröhlich zu sein ist Geschenk und Übermut erst. Das heisst nämlich, dass genügend Kraft dafür da ist.

Das heisst nicht, dass ich keine Ziele habe, die ich gerne mit ihm und nur mit ihm erreichen möchte. Aber zuerst kommt jeden Tag das andere. ER ist da. Wow.

Übrigens hat es sich extra zu meiner Freude diese Tupfen zugelegt, weil er nämlich wusste, dass ich eine Schwäche für Fliegenschimmel hab. Naja, vielleicht hat er sie auch einfach von seiner Mutter Rebecca geerbt. Jedenfalls freue ich mich über die Tüpfchen.

Notiz von Mama

Letztes Wochenende habe ich den letzten noch verbliebenen Keller ausgeräumt von meiner Mama, die letzten Herbst verstorben ist. Diese Türe hinter mir zu schliessen war mit vielen Tränen verbunden. Ich hab in diesem Keller in einer Tasche ein kleines Notizbüchlein gefunden. Darin hat Mama eine kurze Zusammenfassung über Buddhas Leben geschrieben.

Einige Sätze waren hervorgehoben. Unter anderem dieser:

Dem Leben die Treue halten

Ich glaube, genau das ist es. „Wenn dem so ist“ und „dem Leben die Treue halten“ sind ein und dasselbe.

Liebster Tari, ich liebe dich bis zum Mond und zurück und danke dir für alles. Vor allem dafür, dass das Leben mit dir mir so viel darüber beigebracht hat, wie es ist, dem Leben die Treue zu halten (übrigens gehört auch der Tod zum Leben).

Sollten wir meine Ziele mit Reitpferd und Levade und so dann auch noch irgendwann erreichen, dann ist das das Dessert, die Zugabe, das Tüpfelchen auf dem i. Aber ehrlich gesagt, das mit der wallenden Mähne, das kann ich vielleicht doch streichen oder?

Fähigkeiten

Gepostet am

10. Juni 2020